Schiebt die Corona-Krise den Vertrieb im Außendienst aufs Abstellgleis?

  • Pharma- & Health Care-Industrie

By Dominic Pfau

Erfolg im Vertrieb basiert bislang vor allem auf persönlichen Kontakten sowie dem Austausch in einem weit verzweigten Netzwerk. Doch in den Vertriebsabteilungen der Unternehmen der Pharma- und Health Care-Industrie stellt sich seit März die Frage, wie der Außendienst auf einmal ohne persönliche Gespräche arbeiten soll? Natürlich können auch die Vertriebsmitarbeiter vorübergehend aus dem Homeoffice arbeiten. Allerdings sind auch in der Gesundheitsbranche viele Vertriebsmitarbeiter momentan in Kurzarbeit. Besser stehen aktuell jene Unternehmen da, die bereits vor der Corona-Krise ihren Vertrieb auf die verkürzten Aufmerksamkeitsspannen bei ihren Stakeholdern umgestellt haben. Ein interessanter Ansatz ist es, zum Beispiel die Pharmareferenten durch Medical Science Liaison Manager, kurz MSL, zu unterstützen. Der MSL ist ein Spezialist für wissenschaftliche Fragen zur Entwicklung und Vermarktung neuer Arzneimittel. Durch seine beratende Tätigkeit baut er Vertrauen zu Entscheidungsträgern auf und fördert so den Austausch zwischen Ärzten und Pharmaunternehmen. Das hilft Ärzten dabei, die aktuellen Entwicklungen inklusive neuer Behandlungsmöglichkeiten im Blick zu behalten. Schulungen und Vorträge, die sehr oft über Online-Module erfolgen und daher von den MSL aus dem Homeoffice organisiert werden, informieren über neue Präparate und Methoden auf Fachgebieten wie Onkologie, Immunologie oder Hämatologie. Gelegentlich werden Ärzte und Experten vor Ort besucht. Damit arbeiten die MSL anders als die klassischen Vertriebsmitarbeiter, die bis dato meist vier Tage in der Woche von Kunde zu Kunde eilten und nur einen Tag vom Büro aus arbeiteten.

Wie in anderen Branchen wirkt die Corona-Krise auch im Pharma-Vertrieb als Beschleuniger von Veränderungsprozessen, die aufgrund der Digitalisierung ohnehin anstanden. Dazu gehört auch, den gesamten Vertriebsprozess kritisch unter die Lupe zu nehmen und zu prüfen, an welchen Stellen digitale Lösungen sinnvoll sind. Ziel von digitalisierten Prozessen sollte es sein, Ärzte besser zu erreichen und Vertriebskosten zu senken. Weil die Zeit und Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen angesichts der digitalen Informationsflut kürzer geworden ist, kommt es für den Erfolg der Medical Science Liaison Manager darauf an, die Ärzte kurz und prägnant über einen Wirkstoff oder das Portfolio von Wirkstoffen eines Indikationsgebietes zu informieren. Nur wer den niedergelassenen Ärzten in kurzer Zeit auch ohne Besuch einen echten Mehrwert bieten kann, wird sich dauerhaft Gehör verschaffen. Dies lässt sich mit Online-Formaten wie Expertendialogen, virtuellen Kongressen oder Webinaren kostengünstig erreichen.


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Aus den Gesprächen mit meinen Kunden habe ich erfahren, dass einige von ihnen die Marketing-Aktivitäten deutlich verstärkt haben, um den Vertrieb zu unterstützen. Die Reduzierung der persönlichen Kontakte von Vertriebsmitarbeitern zu den Ärzten muss an anderer Stelle aufgefangen werden, damit sie für die Pharma-Unternehmen als Kunden erhalten bleiben. Durch die Anpassung von Marketing und Vertrieb an die geänderten Informationsbedürfnisse der Ärzte gelingt es ihnen, sowohl die Qualität der Kontakte zu den Ärzten zu verbessern als auch die Kosten zu senken. Im internationalen Kontext müssen Unternehmen dabei unterschiedliche regionale und kulturelle Besonderheiten beachten. Nicht überall lassen sich persönliche Gespräche im gleichen Umfang reduzieren. So gilt der Besuch beim Kunden in Asien als Zeichen der Wertschätzung. Deshalb ist es sinnvoll, dem Kunden mehrere Kommunikationsoptionen wie Video-Konferenz, Webinar oder Expertendialog anzubieten und die Informationen in dem zum jeweiligen Kommunikationsweg passenden Format aufzubereiten. Dabei schließen sich unterschiedliche Kanäle nicht aus:  Wissenschaftskongresse können beispielsweise so organisiert werden, dass sie neben den Anwesenden auch virtuellen Teilnehmern offen stehen.

Vertrieb und Marketing rücken enger zusammen

Je stärker auch nach dem Ende der Corona-Pandemie persönliche Besuche zurückgefahren werden können, ohne dass die Vertriebsergebnisse darunter leiden, desto größer werden die organisatorischen und damit auch personellen Anpassungen in den Pharma- und Health-Care-Unternehmen ausfallen. Das wirkt sich natürlich auch auf die erforderlichen Skills von Führungskräften und Mitarbeitern aus.

  • Erfahrungen in der Krise auswerten, um sich neu auszurichten
    Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Vertrieb sollten im Rahmen von Mitarbeitergesprächen erfasst und analysiert werden. Darauf aufbauend sollten die Marktveränderungen auf mögliche Ansatzpunkte für die strategische Neuausrichtung des Vertriebs und den sinnvollen Einsatz digitaler Angebote geprüft werden. Das gelingt aber nur in Abstimmung mit den Ärzten sowie dem Zusammenspiel von Vertrieb und Marketing.
  • Organisatorische Anpassungen erfordern personelle Veränderungen
    Durch die Reduzierung persönlicher Kontakte zu den Ärzten wird künftig eine personell kleinere Vertriebsorganisation die Aufgaben erfüllen können. Um die veränderten Kommunikationsbedürfnisse der Ärzte zu erfüllen, werden Medical Science Liaison Manager und andere Experten benötigt.
  • Mit Weiterbildung den Kontakt zu Ärzten sichern
    Während die fachliche Expertise der Mitarbeiter gleich bleibt, benötigen sie neue Skills im Umgang mit den Ärzten. Grundsätzlich können etwa die bisherigen Pharmareferenten entsprechend geschult und eingesetzt werden, da sie bereits über die notwendige Fachkenntnisse verfügen. Statt persönlicher Gespräche müssen sie neue Kommunikationswege geschickt nutzen, um die Qualität der Kontakte zu den Ärzten zu erhalten.
  • Individuelle Fallprüfung
    Jeden Kunden individuell behandeln: Welches Bedürfnis hat der Kunde und warum benötigt er Kundenbesuche? Sucht er den fachlichen Austausch, Informationen über besondere Indikationen und Neuheiten oder schlicht ein Gespräch mit einer Person, die kein Patient ist. Der Vertrieb sollte aktiv entscheiden, welches Vorgehen bei welchem Kunden sinnvoll ist. Das Management wiederum kann den internen Dialog fördern und Kennzahlen bzw. ein System bereitstellen, das Entscheidungen vereinfacht.
  • Externe Rekrutierung
    Bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter, etwa im Marketing, lohnt sich ein Blick auf die Branche(n), in der ein Kandidat Erfahrungen gesammelt hat. Bewerber mit Erfahrung in Branchen, die bei der digitalen Unterstützung des Vertriebs schon weiter sind, können wertvolle Impulse geben.

Konsequente Ausrichtung am Kunden

Die Corona-Krise sollte dazu genutzt werden, das bisherige Vertriebsmodell auf den Prüfstand zu stellen. Der Kontakt zu den Ärzten ist und bleibt für die Pharma- und Health Care-Unternehmen von strategischer Bedeutung für ihr Geschäft. Wie viel davon Face2Face durch den Außendienst notwendig ist und welcher Anteil künftig im digitalen Raum stattfinden kann, entscheidet in erster Linie der Kunde. Unternehmen, die den Ärzten neben ihren Produkten auch durch digitale Informationsangebote einen echten Mehrwert bieten, dürften am Ende die Nase vorn haben. Der Vertrieb wird auch nach überstandener Corona-Krise nicht auf dem Abstellgleis landen. Aber er wird zum Teil auf neuen, digitalen Gleisen unterwegs sein. Unternehmen, die mit hochqualifiziertem Personal ein Hybrid-Modell aus persönlicher Präsenz und Angeboten im virtuellen Raum nutzen, schaffen eine breite Schnittstelle zu den Ärzten. Und das ist mit Abstand die beste Grundlage für künftigen Erfolg.

Wenn Sie mehr über dieses Thema wissen möchten oder eine persönliche Kontaktaufnahme wünschen, dann melden Sie sich bei Dominic Pfau:

Dominic Pfau  |  Partner & Director (Team Leader)
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